Rückblick 2009
Bach in Arnstadt | Kultur und Genuß
Über 3000 Besucher nutzten von Freitag bis Sonntag die Gelegenheit, ein erstes vorweihnachtliches Wochenende in Arnstadt zu genießen. Den Auftakt machte am Freitag das ausverkaufte Konzert des Volker Braun Trios. Das Publikum zeigte sich begeistert.
Samstag und Sonntag luden dann die Musikschule und die Volkshochschule zu gut besuchten Schnupperkursen, Konzerten und Mitmach-Werkstätten. Private Denkmalbesitzer hatten Haus und Hof liebevoll und aufwendig geschmückt, Künstler und Handwerker eingeladen, Speis und Trank vorbereitet: Maurisches Lamm hier, raffinierte Pralinen dort, Apfelpunsch und Glühwein – die Bratwurst durfte natürlich auch nicht fehlen. Am Samstag fand in der Oberkirche der inzwischen schon traditionelle Kunst- und Handwerkermarkt statt. Doch auch am Sonntag nutzten Hunderte von Besuchern das Angebot der ausgeweiteten Öffnungszeiten der drei Arnstädter Kirchen. Zu besichtigen war auch die Liebfrauenkirche, die sonst im Winter geschlossen ist. Überraschte und zufriedene Arnstädter erlebten ihre Stadt in ganz neuem Licht. Besucher aus der Region und ganz Deutschland waren von der Magie der Stadt fasziniert. Mancher von ihnen war eigens angereist, um das Konzert des Ensemble Bell’Arte unter der Leitung von Annegret Siedel und der Sopranistin Monika Mauch zu hören – ein Barockkonzert auf Instrumenten, wie sie zu Bachs Zeiten üblich waren. Eine Arnstädter Besucherin, die eigentlich gar nicht vorhatte, das Konzert zu besuchen und sich dann von der Stimmung in der Stadt mitreißen ließ: „Ich hatte gar keine Vorstellung, daß Barockmusik so schön sein kann.“ Den Schlußakkord setzte ein Gespräch mit dem Bildhauer Bernd Göbel in der Bibliothek. Göbel ist der Schöpfer des jungen Bachs auf dem Markt. Es stellte sich heraus, daß sein Denkmal für viele Arnstädter der zentrale Identifikationspunkt mit der Bachstadt Arnstadt ist. Bernd Göbel war über dieses Maß der Verbundenheit überrascht und hocherfreut. |
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Volker Braun Trio | Variationen zu Joh: Seb: Bach Einen besseren Auftakt der Bach:Weihnacht hätte sich die IG Jazz nicht wünschen können. In der bis auf den letzten Platz gefüllten Kulturetage des Stadthauses Arnstadt zogen Volker Braun an der Oboe und am Piano, Andreas Buchmann am Baß und Heike Jung am Schlagzeug das Publikum sofort in ihren Bann. Ansteckend war ihre Spielfreude, beeindruckend ihre Virtuosität. Volker Braun, Solo-Oboist der Robert Schumann Philharmonie in Chemnitz, wagte ein ungewöhnliches Spiel: Zuerst intonierte er beispielsweise solo und klassisch wie von Bach geschrieben die Ouvertüre Nr. 1 C-Dur, BWV 1066 oder auch die Partita g-Moll, BWV 1013 – um dann gemeinsam mit seinen langjährigen Weggefährten so richtig loszujazzen. Das Konzept ging auf, das Publikum ging mit. Für Volker Braun ist diese gelungene Synthese nicht erstaunlich: „Bach ist für mich im übertragenen Sinn einer der ältesten Jazz-Musiker der Musikgeschichte. Seine Themen und Motive sind denen im Jazz oft nah verwandt.“ | ||
Bach und Menantes in Arnstadt | Textprojektion auf Ober- und Bachkirche Christian Friedrich Hunold, der sich Menantes nannte, wurde 1680 in Wandersleben bei Arnstadt geboren und besuchte in den 1690er Jahren das Arnstädter Lyzeum. Dieses befand sich im Klausurgebäude des ehemaligen Franziskanerklosters (Oberkirche). Hier unterrichtete zehn Jahre später Joh: Seb: Bach unter anderem den streitbaren Schüler Geyersbach. In Bachs Köthener Zeit schrieb Menantes für ihn mindestens sechs Kantatentexte. Nach Hunolds frühem Tod 1721 vertonte Bach noch die besonders schöne, barocke Dichtung „Ich bin in mir vergnügt„. Teile dieser Texte warfen am Freitag, Samstag und Sonntag nach Einbruch der Dunkelheit ein neues Licht auf die vertraute Architektur von Ober- und Bachkirche. | ||
Gitarrentag in der Musikschule Die Laute, zu deren Familie die Gitarre zählt, ist bereits auf einem Relief aus dem Tempel des Hammurapi (1792–1750 v. Chr.) in Babylon zu sehen. In den folgenden Jahrtausenden wurden diese frühen Saiteninstrumente weiterentwickelt und vielfältig dem sich wechselnden Zeitgeschmack angepaßt. In der Renaissance und auch noch zu Bachs Zeiten lag ein Schwerpunkt auf Instrumenten mit einem tiefen Baßregister. So entstanden Instrumente mit sehr langen Saiten und dementsprechend langen Hälsen: Theorbe, Citarone oder Arciliuto genannt, welche man am Abend im Konzert des Ensemble Bell’Arte Salzburg bestaunen konnte. Am Vormittag in der Musikschule konnten interessierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Schnupperkursen praktisch ausprobieren, ob das Gitarrenspiel ihnen Vergnügen bereiten könnte. Am Nachmittag zeigten Rüdiger Kriwitzki und Arne Puschnerus, zum Teil in Begleitung von Christel Wolff an der Blockflöte, zu welcher Virtuosität und welchem Vergnügen für Spieler und Zuhörer beständiges Interesse und fleißiges Üben führen. | ||
vhs mitten in der Innenstadt Weihnachtskarten selber drucken oder Plätzchen backen: Unter fachkundiger Anleitung ist der Erfolg garantiert. Während der Bach:Weihnacht gab die Volkshochschule, sonst beheimatet am Bahnhof, ein Gastspiel in der Innenstadt. Eifrige Kinder und verspielte Eltern buken und druckten um die Wette. Ein Resultat war schmackhafter und schöner als das andere. Eine Arnstädterin erinnerte sich: „Als wir Kinder waren, haben wir unsere Weihnachtskarten immer selber gemacht – im Kartoffeldruck. Mit so einer richtigen Druckerpresse macht das natürlich noch viel mehr Spaß!“ | ||
Kunst- und Handwerkermarkt in der Oberkirche | Offene Oberkirche Künstler und Handwerker, Lesungen und viele Leckereien – auch im dritten Jahr war der Markt in der Oberkirche ein Anziehungspunkt. Da die Kirchgemeinde am 1. Advent im Gemeindehaus ihr Gemeindefest feierte, fand der Markt nur am Samstag statt. Doch auch am Sonntag begeisterte die offene Kirche zahlreiche Besucher von nah und fern. | ||
Ensemble Bell’Arte Salzburg und die Sopranistin Monika Mauch | Rathaussaal „In Nativitate Domini“ Barockmusik in Erwartung der Geburt des Herren erklang am Samstagabend im Rahmen der Bach:Weihnacht im Rathaussaal. Die Interpreten waren das Ensemble Bell’Arte Salzburg und die Sopranistin Monika Mauch unter Leitung von Annegret Siedel. Ensemble und Sängerin sind ausgewiesene Spezialisten der historischen Aufführungspraxis. Sie spielen auf Instrumenten wie sie im 17. und 18 Jahrhundert üblich waren. Diese unterscheiden sich in Bauweise und Klang zum Teil erheblich von den heute normalerweise gebräuchlichen Nachfolgeinstrumenten: Barockvioline oder Viola d’Amore, Viola da Gamba oder Violone, das sind die Vorgänger des Cellos und Theorbe oder Citarone aus der großen Familie der Baßlauten. Die Arnstädter erlebten als erstes Konzert im fast fertig renovierten Rathaussaal ein Konzert, wie es auch zu Bachs Lebzeiten in Arnstadt stattgefunden haben könnte. Dies gilt umso mehr, als eine Reihe von Stücken von Komponisten stammten, die einige Jahrzehnte früher als Bach wirkten und zu seiner Zeit zum Repertoire gehörten. Das klug zusammengestellte Programm begann mit zwei Stücken von Franz Tunder (1614–1667) und Johann Rosenmüller (1620-1684). Johann Sebastian Bach war neben Johann Georg Reichard (1710–1782) der jüngste Komponist, der an diesem vorweihnachtlichen Abend zu hören war. Bachs Lehrer Buxtehude und der nur sieben Jahre ältere Vivaldi durften natürlich auch nicht fehlen. Dazu gesellten sich Vivaldis Landsmann Antonio Caldara (um 1670–1736) und weitere nord- und mitteldeutsche Komponisten. In intensiver Spielfreude und perlender Leichtigkeit erklang Bekanntes wie Bachs Choral „Nun komm, der Heiden Heiland“ oder Geists „Wie schön leuchtet der Morgenstern“, neben seltener gespielten Schätzen des Barock, wie Philipp Friedrich Böddeckers (1607-1683) „Natus est Jesus“. Souveräne Virtuosität und dichte Interaktion zeichnete das Spiel in unterschiedlichen Besetzungen aus. Die intensive, warme und gerade Tongebung der Streichinstrumente in perfekt ausgeloteter Intonation war beeindruckend. Die Sopranistin Monika Mauch glänzte mit ihrer klaren Stimme und wunderbarer Natürlichkeit. Ein Höhepunkt inmitten kostbarer Hörerlebnisse war Annegret Siedels Spiel auf der Viola d’Amore in Vivaldis Konzert in a-Moll RV 397. Es bleibt der Wunsch, dieses Instrument häufiger zu hören. So erlebte Arnstadt nach der Aufführung der Matthäuspassion durch Sigiswald Kuijken und dem flämischen Ensemble La Petite Bande im März, einem Konzert von Magdalena Consort unter Leitung von Peter Harvey im Juli und und dem Auftritt Joshua Rifkins mit dem New York Bach Ensemble im August zum viertenmal in einem Jahr eine Sternstunde der Alten Musik. Da verwundert es nicht, daß einige Gäste von weit angereist kamen; und Erfurter, Weimarer oder Ilmenauer Arnstadt immer wieder gerne in ihr Konzertprogramm aufnehmen. Das erste Konzert im Rahmen der Arnstädter Bach:Weihnacht war eine mehr als (denk-)würdige „Einweihung“ des neuen Rathaussaal und setzt Maßstäbe für die nächste Bach:Weihnacht.Monika Mauch ist am 21. Mai 2010 zusammen mit den Regensburger Domspatzen und der Akademie für Alte Musik Berlin wieder zu hören. Sie eröffnen die 26. Ausgabe der inzwischen legendären Tage für Alte Musik | Regensburg unter Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner. Das Ensemble Bell’Arte Salzburg wiederum ist eingeladen zum 19. Juni 2010 auf der Wartburg/Eisenach für das Eröffnungskonzert der 14. Telemann-Festtage. | ||
Pfarrhof Normalerweise hat die Fleischerei Pabst ihr Geschäft auf dem Kohlenmarkt, doch an der Bach:Weihnacht beteiligte sich die Familie Pabst mit einem Stand auf dem Pfarrhof. Frau Pabst zeigt sich äußerst zufrieden: „Wir sind mit dem Grillen der Würste Samstag und Sonntag zeitweise kaum mehr nachgekommen. Doch fast noch wichtiger für uns war, daß wir mit Menschen ins Gespräch kamen, die uns – beispielsweise unsere Präsentkörbe – bisher gar nicht richtig wahrgenommen hatten.“Für Genuß sorgten auch die zwei Nachbarstände. Daß der Glühwein sich besten Zuspruchs erfreut, braucht nicht betont zu werden, aber auch der alkoholfreie Apfelpunsch aus Saft von Thüringer Streuobstwiesen erfreute sich großer Beliebtheit. Selbstgebackener Kuchen, Nußecken, Lebkuchen und Plätzchen stillten den süßen Hunger – und wer es deftiger wünschte, der bekam selbstgebackenen Zwiebelkuchen. | ||
Apfel, Nuß und Mandelkern im Stadthaus Arnstadt Wem es draußen zu windig und zu kalt war, der konnte all die Leckereien vom Pfarrhof in der – trotz andauernder Baustelle – warmen Bohlenstube des Stadthauses Arnstadt genießen und sich von dem behaglichen Raumklima der in Lehm eingeputzten Wandheizung überzeugen. So blieben viele länger hocken für einen ausführlichen Plausch. In der Kulturetage gab es ein weiteres Angebot für Kinder und Jugendliche: Die Hörwerkstatt Alte Musik und die Möglichkeit zu malen und zu zeichnen. Am Sonntag war der Glasbläser Olaf Tappert, der im historischen Schwarzküchengewölbe vor der Flamme Weihnachtsschmuck blies, eine zusätzliche Attraktion. |
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Wollt ihr nicht auf’s Christkind warten… | Pfarrhof 16 Wenn es bei der Arnstädter Bach:Weihnacht einen Preis für das am schönsten geschmückte Haus oder den schönsten Hof gegeben hätte, es wäre schwer gewesen sich zwischen Pfarrhof 16 oder dem Rektorat in der Kohlgasse zu entscheiden. Fangen wir mit dem Pfarrhof 16 an. Deren Bewohner hatten die Tage unter das Motto gestellt: Freunde laden ein! Und das war kein leeres Versprechen. Befreundete Kunsthandwerker boten Gefilztes, Schmuck aus Swarovski-Steinen, Senf und Pralinen an. Liebevolle Geschenke für wiederum gute Freunde. Schnell verbreitete sich auch in der ganzen Innenstadt die Kunde, daß es hier köstliches Essen gab –orientalisch, „geliefert“ von den Drei Weisen aus dem Morgenland. Der Architekt Peter Frentzel zeigt sich sehr zufrieden mit dem Verlauf des Wochenendes: „Das war ein phantastisches Wochenende. Es war an beiden Tagen eine Menge los. Erstaunlich viele Besucher kamen aus Erfurt und Weimar, manch einer betonte, daß er Arnstadt eine solch schöne Veranstaltung gar nicht zugetraut hätte. „ |
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Ehemaliges Rektorat | Kohlgasse 17 Das Rektorat ist schon im normalen Alltag ein augenfälliges Schmuckstück. Zur Bach:Weihnacht hatten seine Bewohner es besonders schön herausgeputzt: Entstanden war im Atelier des Hausherrn Christoph Hodgson ein altmodisches und einladendes Café, große rote Sofas, zierliche Sessel um schöne alte Sessel. Kuchen, Plätzchen und leckere Pralinen verführten zum Verweilen. Zu idyllisch? Nein! Verleger Michael Kirchschlager verwies mit seinem vielfältigen Buchprogramm mit historischer Kriminalliteratur darauf, daß das Grauen doch nah ist. Und schließlich gab auch noch Friedrich Morgenrot aus der Mühle in Kleinhettstedt seinen Senf dazu. | ||
Langer Samstag und verkaufsoffener Sonntag Für den Langen Samstag hatte der Unternehmerverein zur Freude vieler Kinder wieder Kutschfahrten durch die Innenstadt organisiert. Am Sonntag hatten viele Geschäfte offen. Die Resonanz war sehr unterschiedlich: Sehr zufrieden mit beiden Tagen zeigte sich das Keramikatelier Sybille Traub, sehr zufrieden zeigten sich auch Gundula Mogdan von der Buchhandlung Haus im Pfau und Frau Irmscher vom gleichnamigen Schuhhaus, die sich besonders freute, daß „so viele kauflustige Erfurter und Weimarer in der Stadt waren.“ | ||
Offene Liebfrauenkirche |
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Der spannende Blick auf den jungen Bach | eine Gesprächsrunde mit dem Bildhauer Bernd Göbel Den Schlußakkord eines gelungenen und gutbesuchten vorweihnachtlichen Wchenendes setzte ein Gespräch mit dem Bildhauer Bernd Göbel in der Bibliothek. Göbel ist der Schöpfer des jungen Bachs auf dem Markt. Es stellte sich heraus, daß sein Denkmal für viele Arnstädter der zentrale Identifikationspunkt mit der Bachstadt Arnstadt ist. Bernd Göbel war über dieses Maß der Verbundenheit überrascht und hocherfreut. Eine ausführliche Zusammenfassung und Kommentierung der Diskussion gibt es hier Einen Bericht über seine Arbeit und aus dem Atelier gibt es hier | ||
© Fotos: Jan Kobel, Franz Frentzel (2), oberkirche-arnstadt e.V. (1) | ||