Zu Besuch bei dem Bildhauer Bernd Göbel in Halle
Halle an der Saale, am westlichen Stadtrand. Unweit der romanischen Dorfkirche steht ein schlichtes Eckhaus mit einer hoher Mauer. Ein Türbogen nicht über 1,75 verweist auf alte Bausubstanz. Eine Klingel mit Namensschild. Hier wohnt Bernd Göbel, der Bildhauer, der den Bach geschaffen hat, wie er seit 1985, seit dem 300. Geburtstag des genialen Musikers, auf dem Arnstädter Markt sitzt: jungen, selbstbewußt und ohne Perücke.
„Unser Bach“, oder auch nur „der Bach“, sagen nicht nur die Stadtführer, jeder Arnstädter spricht so, wenn er Besuchern oder Touristen die Skulptur zeigt und die Geschichten erzählt, die überliefert sind von den vier Jahren zwischen 1703 und 1707, als Bach in Arnstadt seine erste Anstellung fand.
Wie er so keck und aufreizend dasitzt, dem Rathaus und somit der Obrigkeit gegenüber, ist er inzwischen zur Seele des Marktes, vielleicht sogar der ganzen Stadt geworden. Heute macht dieser Bach auf lebhafte, detailreiche, anregende Art anschaulich, was Arnstadt in kultureller und touristischer Sicht zuerst ist: Bach-Stadt.
Professor Göbel, geboren in 1942 in Freiberg, ist einer der renommiertesten deutschen Bildhauer. Er leitete 30 Jahre auf der Burg Giebichenstein die Bildhauerklassen und hat unter anderem in Halle einen großen, inzwischen nach ihm benannten Brunnen geschaffen, der wegen eines nackten kopulierenden Kardinals noch viel mehr als der Arnstädter Bach die Gemüter erregte.
Bernd Göbel ist ein gutaussehender, kräftiger Mann mit hellwachen Augen. Jeans, Pulli, weiße Haare, leicht sächsischer Einschlag in der Stimme. Noch immer arbeitet er viel in seinem Atelier, der ehemaligen Scheune des Anwesens, wo er auch seine Besucher empfängt: alles weiß gestrichen und mit viel Licht von der Seite. Hier stehen Figuren aus allen Perioden seines Schaffens.
Er ist ein im besten Sinne typischer ostdeutscher Künstler: eine gediegene fachliche Ausbildung, starkes Selbstbewußtsein, aber ohne Eitelkeiten und Selbstdarstellungsmarotten. Ein Mann, der in der DDR nicht nur anerkannt war, sondern auch seine Freiheiten hatte. Oder sie sich nahm. Er erzählt von Kämpfen gegen Engstirnigkeit und Dogmatismus, und wie er sie gewann, auch in Arnstadt.
Und davon, daß für den Bildhauer der Standort seiner Figur ein ganz wesentliches Moment derselben ist, und wie jeder Bildhauer sehr genaue Vorstellungen davon hat, wo und wie sein Werk aufgestellt gehört. Kein Wunder, daß es oft mehr Streit über das wo und wie seiner Figuren gegeben hat als über diese selbst. „Man kann eine Figur nicht einfach irgendwohin stellen“, sagt er, „denn alles wirkt auf sie ein: Häuser, Bäume, Abstände, Werbung, Verkehr, Blickrichtungen. In Arnstadt steht der Bach genau richtig“.
Bernd Göbels Figuren sind stets von starker Dynamik geprägt. Selbst wenn Sie sitzen, wie der junge Johann Sebastian, oder wie sein Kurt Weill und Bert Brecht in Dessau, scheinen sie in Bewegung zu sein. Dabei handelt es sich um keine äußere Bewegung, keine Eile, sondern eine Bewegung, die von innen kommt, von einer Beseeltheit der Figur, wie sie nur herausragende Künstler erzeugen können.
Diese Beseeltheit einer großen Skulptur kann einen ganzen Platz ergreifen. Arnstadt hat das seltene Glück, über so eine Figur zu verfügen. Und auch Bernd Göbel selbst weiß, daß sein Bach ein Meisterwerk ist: Er drückt es bescheiden so aus: „Immer wieder mal, wenn ich in der Gegend bin, besuche ich ihn. Und immer stelle ich fest, daß er zu jenen meiner Arbeiten gehört, die Bestand haben.“
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Im Rahmen der ersten Arnstädter Bachweihnacht wird der Hallenser Bildhauer Göbel in der Arnstädter Bibliothek in lockerer Gesprächsrunde erzählen, wie der Bach entstand und welche Aufregung sich um ihn entwickelte, auch noch nach der Wende.
Bibliothek, Prinzenhof
Sonntag, 29.11.2009, 16 Uhr |
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